Wenn ein Familienmitglied ohne letztwillige Verfügung verstirbt, regelt grundsätzlich die gesetzliche Erbfolge, wer welchen Anteil am Nachlass erhält. Das bedeutet, dass die nächsten Angehörigen – vor allem der Ehegatte und die direkten Abkömmlinge (Kinder, Enkel, Urenkel etc.) – ihre Erbteile entsprechend des Verwandtschaftsgrads zum Erblasser erhalten.
Der Erblasser kann jedoch auch durch einseitige Verfügung von Todes wegen (Testament, letztwillige Verfügung) den Erben bestimmen, § 1937 BGB. Doch seine Testierfreiheit ist begrenzt. Ist ein pflichtteilsberechtigter Erbe per Testament von der Erbfolge ausgeschlossen, hat er Anspruch auf den sogenannten Pflichtteil am Erbe. Dieser entspricht der Hälfte des gesetzlichen Erbteils und ist abhängig von Nachlasswert, Pflichtteilsquote & Ergänzungsansprüchen.
I. Wem steht der Pflichtteil zu?
Wer pflichtteilsberechtigt ist, regelt § 2303 BGB. Demnach steht der Pflichtteil folgenden Personen zu:
- Abkömmlinge: Kinder, Enkel, Urenkel – egal ob ehelich, außerehelich, legitimiert oder adoptiert
- Partner: Ehegatten und eingetragene Lebenspartner
- Eltern des Erblassers
Damit steht nicht allen Angehörigen der Pflichtteil zu. Eltern haben beispielsweise erst einen Pflichtteilsanspruch, wenn der Erblasser keine direkten Abkömmlinge hinterlässt. Kein Anspruch auf den Pflichtteil besteht für entferntere Verwandte des Erblassers: Geschwister, unverheiratete Lebensgefährten, Neffen und Nichten, Großeltern, Onkel und Tanten, Cousinen und Cousins, Großonkel und Großtanten.
Es ist außerdem möglich, dass Pflichtteilsberechtigte ihren Anspruch verlieren oder freiwillig darauf verzichten.
- Infolge einer schweren Verfehlung darf ein Erblasser laut § 2333 BGB jemandem seinen Pflichtteil entziehen. Dies ist z.B. der Fall, wenn der Erbe Straftaten begeht oder sich dauerhaft in einer Entzugsklinik oder psychiatrischen Klinik befindet.
- Erblasser und Erbe können einen freiwilligen Pflichtteilsverzicht vereinbaren: Der Erbe erhält zu Lebzeiten eine einmalige Geldzahlung oder andere Vermögenswerte und verzichtet im Gegenzug auf seinen Pflichtteil im Erbfall.
II. Wie hoch ist der Pflichtteil?
Der Pflichtteil entspricht 50 % des gesetzlichen Erbteils, den ein Pflichtteilsberechtigter als gesetzlicher Erbe erhalten hätte.
Zur Berechnung Ihres Pflichtteilsanspruchs müssen Sie den genauen Nachlasswert kennen. Dazu ist der Erbe nach § 2314 verpflichtet, Ihnen sämtliche Aktiva, Passiva, Verträge und Schenkungen des Erblassers offenzulegen.
Dabei sind bei der konkreten Berechnung neben der Familienkonstellation folgende Faktoren entscheidend:
- Pflichtteilsquote & Nachlasswert
- Güterstand des Erblassers
- Pflichtteil & Zuwendungen
- Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkung
III. Pflichtteil in 4 Schritten einfordern
Grundsätzlich entsteht der Pflichtteilsanspruch mit dem Tod des Erblassers, § 2317 BGB. Das Nachlassgericht spricht den Pflichtteil aber nicht automatisch zu. Erfährt ein Angehöriger bei der Testamentseröffnung von seiner Benachteiligung in Bezug auf das Erbe, muss der Berechtigte den Pflichtteil aktiv vom Erben einfordern.
Dies geschieht grob wie folgt:
1. Auskunft einholen
Zunächst muss sich der Pflichtteilsberechtigte einen Überblick über die Höhe des Nachlasses verschaffen. Dazu sendet er ein Auskunftsbegehren an den Erben.
Dieser ist verpflichtet, ein Nachlassverzeichnis zu erstellen und darin Vermögen, Schulden, Verträge und Schenkungen des Erblassers offenzulegen. Erst wenn der Erbe der Auskunftsaufforderung nachkommt, lässt sich der Pflichtteil berechnen.
2. Nachlasswert prüfen
Vor der Geltendmachung des Pflichtteils trotz Testament sind Nachlassverzeichnis und Nachlasswert zu prüfen. Der Grund: Hat der Erbe versehentlich oder mutwillig Wertgegenstände aus dem Nachlass verschwiegen oder ihren Wert zu niedrig angesetzt, ergibt sich daraus ein zu geringer Nachlasswert. Der Berechtigte würde in diesem Fall weniger erhalten als ihm zustünde.
3. Pflichtteil einfordern
Mit dem genauen Nachlasswert lässt sich nun der Pflichtteil ermitteln. Ist die Höhe des Pflichtteils bekannt, sollte der Pflichtteilsberechtigte den Erben schriftlich zur Auszahlung des Pflichtteils auffordern.
4. Pflichtteil einklagen
Wenn der Erbe die Auszahlung des Pflichtteils verweigert, ist die Klageerhebung beim zuständigen Nachlassgericht die letzte Option zur Durchsetzung des Pflichtteils. Das Gericht überprüft den Pflichtteilsanspruch und verpflichtet den Erben zur Zahlung. Bei Klageerfolg trägt der Erbe zusätzlich sämtliche Anwalts- und Gerichtskosten.
Sollte der Erbe der Zahlungsaufforderung nicht folgen, ordnet das Gericht darüber hinaus die Zwangsvollstreckung an. Dadurch erhält der Pflichtteilsberechtigte einen vollstreckbaren Titel und kann einen Gerichtsvollzieher mit der Zwangsvollstreckung beauftragen.
IV. Verjährungsfrist beachten
Der Pflichtteilsanspruch verjährt nach 3 Jahren. Innerhalb dieser Frist müssen Erben ihren Pflichtteil berechnen und sich auszahlen lassen. Ansonsten verfällt der Anspruch nach §§ 195, 199 BGB. Die Frist beginnt immer mit Ende des Jahres, in welchem der Anspruch entstand bzw. ab dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme.
Exkurs: Nach § 1954 BGB müssen Sie eine Erbschaft innerhalb einer 6-wöchigen Frist ausschlagen. Die Frist beträgt sechs Monate, wenn der Erblasser seinen letzten Wohnsitz nur im Ausland gehabt hat oder wenn sich der Erbe bei dem Beginn der Frist im Ausland aufhält.