I. Grundsatz
Im Rahmen der Testamentsgestaltung wird häufig der Wunsch geäußert, dass ungeliebte nahe Angehörige am Nachlass nicht beteiligt werden sollen. Im Regelfall steht diesen aber zumindest der Pflichtteil zu.
Schließlich sind die Erbrechtsgarantie und der Schutz der Familie mit der Pflicht zur gegenseitigen Sorge zwei Grundsatzpfeiler des Pflichtteilsrechts, die im Grundgesetz verankert sind, Art. 14 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG. Das Pflichtteilsrecht garantiert den nächsten Angehörigen des Erblassers eine Mindestteilhabe am Nachlass auch wenn sie durch Testament enterbt werden.
Tatsächlich kann aber auch nahen Angehörigen unter den strengen Voraussetzungen des § 2333 BGB der Pflichtteil entzogen werden. In der Praxis gestaltet sich dies jedoch aufgrund der sehr hohen Hürden und Beweisfragen äußerst schwierig.
II. Voraussetzungen
So ist eine Entziehung des Pflichtteils ist nur unter folgenden Voraussetzungen möglich:
- Grund zur Entziehung des Pflichtteils
- Pflichtteilsentziehung richtig erklärt und begründet
- Keine Verzeihung
1. Entziehungsgrund
Der Pflichtteilsentziehung ist nur möglich, wenn ein gesetzlich anerkannter Grund vorliegt, § 2333 BGB. Das heißt, dass nicht etwa der Erblasser bestimmt, wann ein solcher Grund zur Entziehung vorliegt, sondern der Gesetzgeber. Insbesondere reicht nicht jedes Fehlverhalten aus, das der Erblasser missbilligt. Vielmehr kann der Erblasser einem Abkömmling (bzw. dem Ehegatten oder Elternteil) den Pflichtteil nur dann entziehen, wenn dieser bestimmte schwere Verfehlungen begangen hat.
Diese sind gemäß § 2333 BGB:
wenn der Abkömmling,
- dem Erblasser, dem Ehegatten des Erblassers, einem anderen Abkömmling oder einer dem Erblasser ähnlich nahe stehenden Person nach dem Leben trachtet,
- sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen eine der in Nummer 1 bezeichneten Personen schuldig macht,
- die ihm dem Erblasser gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht böswillig verletzt oder
- wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung rechtskräftig verurteilt wird und die Teilhabe des Abkömmlings am Nachlass deshalb für den Erblasser unzumutbar ist. Gleiches gilt, wenn die Unterbringung des Abkömmlings in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt wegen einer ähnlich schwerwiegenden vorsätzlichen Tat rechtskräftig angeordnet wird.
2. Anordnung im Testament
Die Entziehung muss aufgrund einer der genannten Entziehungsgründe durch letztwillige Verfügung (Testament, Erbvertrag) erfolgen, § 2336 BGB.
Die Rechtsprechung stellt hier hohe formale Anforderungen, so dass der der Entziehung zugrundeliegende Sachverhalt konkret geschildert werden muss. Allgemeine Ausführungen reichen hier nicht aus.
Sodann trägt später der Erbe im Streitfall mit dem Pflichtteilsberechtigten die Beweislast für die wirksame Entziehung des Pflichtteils. Auch dies kann in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen.
3. Keine Verzeihung
Das Recht zur Entziehung des Pflichtteils erlischt durch Verzeihung, § 2337 BGB.
Eine solche Verzeihung muss nicht ausdrücklich erklärt werden. Es reicht aus, dass sich eine solche aus dem Verhalten des Erblassers ergibt. Will dieser jedoch vermeiden, dass später gegen seinen Willen eine Verzeihung angenommen wird, kann der Erblasser in seinem Testament entsprechend vorsorgen und verfügen, dass eine Verzeihung nur durch eine neue letztwillige Verfügung ausdrücklich erklärt werden kann.
III. Alternativen zur Pflichtteilsentziehung
Da die gesetzlichen Anforderungen an eine vollständige Entziehung des Pflichtteilsanspruches sehr hoch sind, spielen in der erbrechtlichen Beratung effektive Alternativen hierzu eine deutlich größere Rolle.
Durch bestimmte Gestaltungen kann der Pflichtteil des Angehörigen praktisch vermindert oder nahezu vollständig ausgeschlossen werden. In der Praxis haben sich diesbezüglich insbesondere folgende Strategien durchgesetzt.
– Pflichtteilsverzicht:
Dies ist der sicherste Weg, Zugriffe auf den Nachlass durch Pflichtteilsansprüche von vornherein auszuschließen. Jedoch dürfte der jeweils Berechtigte nur in seltenen Fällen dazu bereit sein, auf seinen Pflichtteilsanspruch bei einem Notar zu verzichten. Meist wird dies wohl, wenn überhaupt, nur gegen entsprechende Zahlung der Fall sein.
– Lebzeitige Verfügungen
Hierbei wird der Nachlass, nachdem sich die Höhe des Pflichtteilsanspruches bestimmt, faktisch dadurch entwertet, dass der Erblasser noch zu Lebzeiten Vermögenswerte unentgeltlich an andere Personen überträgt. Dabei entstehen grundsätzlich sog. Pflichtteilsergänzungsansprüche, deren Höhe im Einzelfall von verschiedensten Faktoren abhängen.
Dabei gilt es, auch steuerrechtliche Aspekte im Auge zu behalten. So kann eine Immobilie unter dem Vorbehalt eines Nießbrauchrechts oder gegen eine lebenslange Leibrente übertragen werden.
– Eheschließung, Adoption
Eine etwas ausgefallenere Möglichkeit ist es, den Pflichtteil durch Eheschließung oder Adoption zu mindern, da dadurch in die gesetzliche Erbfolge und damit in die Pflichtteilsquoten eingegriffen wird.
In diesem Zusammenhang sei vollständigkeitshalber auch der Wegzug oder die Verlagerung von Vermögen in einen Staat ohne strenges Pflichtteilsrecht genannt.
IV. Fazit
Die Anforderungen an eine wirksame Pflichtteilsentziehung sind sehr hoch. In den meisten Fällen, in denen eine vollständige Enterbung gewünscht ist, fehlt es an der rechtlichen Grundlage hierfür.
Der Fokus der erbrechtlichen Beratung sollte daher meist darauf gelegt werden, den bestehenden Pflichtteilsanspruch der Höhe nach möglichst gering zu halten. Hierfür bieten sich zahlreiche Möglichkeiten an, die aber stets auf jeden einzelnen Erbfall genau abgestimmt werden müssen.